Gewaltprävention im sozialen Nahraum
6/7 Juni 2005
  • 3.457 Kongressteilnehmende und Besucher*innen
  • 98 Referierende
  • Festvortrag von Dr. Ursula von der Leyen
  • 48 Vortragsbeiträge
  • 141 Ausstellungsbeiträge (Infostände, Infomobile, Sonderausstellungen)
  • Eventbühne
  • Filmforum
  • Kinderuni
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Am 6. & 7. Juni 2005 war das Convention Center der Messe Hannover Veranstaltungsort des 10. Jahreskongresses. Er stand unter der Schirmherrschaft des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Das Schwerpunktthema lautete „Gewaltprävention im sozialen Nahraum“.  In diesem Rahmen wurde auch die „Anerkennungsmedaille in Gold der Polizeilichen Kriminalprävention der  Länder und des Bundes“ für besondere Verdienste der Kriminalprävention verliehen.

25 Jahre Deutscher Präventionstag
Ein Beitrag von Prof. Dr. Thomas Bliesener

Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) und Professor für interdisziplinäre kriminologische Forschung der Universität Göttingen

Das Schwerpunktthema des 10. Deutschen Präventionstages lautete „Gewaltprävention im sozialen Nahraum“. Herr Prof. Dr. Thomas Bliesener, Sie haben dort einen Vortrag mit dem Titel „Gewalt und Aggression in der Forschung“ gehalten. Der Untertitel war, wie man Verhalten beobachtet, das nicht gesehen werden soll. Dieser Vortrag fand statt im Rahmen der zweiten sogenannten Kinderuniversität. Wie schätzen Sie die Wirkung und auch die Wirksamkeit einer solchen Kinderuniversität im Rahmen von Kriminal- und Gewaltprävention ein?

Die Wirkung von Kinderuniversitäten auf die Kriminalprävention, die halte ich für sehr überschaubar, wenn überhaupt erkennbar. Das war sicher auch nicht das Ziel dieser Kinderuniversität, sondern das Ziel war letztendlich, Kinder und junge Menschen an Wissenschaft und überhaupt an Prävention heranzuführen. In Erinnerung habe ich sehr viele, sehr wache und offene Kinderaugen, die mit großem Interesse meinem und auch den Vorträgen der Kolleginnen und Kollegen gefolgt sind. Vielleicht ist es uns gelungen, den einen oder die andere für diese Themen und vielleicht sogar für Wissenschaft zu begeistern und wenn das erreicht wurde, dann ist es schon genug.

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. gibt es schon seit 1979 und wenn Sie persönlich, jetzt gemeinsam mit dem Deutschen Präventionstag, auf 25 Jahre Gewalt- im Kriminalprävention zurückblicken, wie hat sich aus Ihrer Perspektive das Fachgebiet verändert? Welche Ziele wurden erreicht?

Ein Ziel, das sicherlich erreicht wurde, ist eine breite Akzeptanz einerseits in der Bevölkerung anderseits aber auch in der politischen Entscheidungspraxis, dass Prävention hilfreich ist, dass Prävention nützlich ist, dass Prävention lohnenswert ist, weil teure Spätfolgen vermieden werden können. Was ich daneben feststelle ist, dass sich die Prävention gewandelt hat, insbesondere was die einzelnen Themen angeht. Zu Beginn dieser Kampagnen war der Präventionsgedanke sehr stark von einem Anstieg, insbesondere des Anstieges der Jugendkriminalität und der Gewaltkriminalität geprägt. In der Zwischenzeit sind andere Phänomene in den Vordergrund gerückt worden. Da hat sich Prävention regelmäßig angepasst und hat neue Themen aufgegriffen, wie. z.B. Radikalisierung / Extremismus als ein Stichwort, das in der letzten Dekade vermehrt aufgekommen ist. Das wird auch eine Charakteristik der Zukunft sein, dass Prävention sich immer den Gegebenheiten anpasst und den aktuellen Problemlagen.

2005 lautete das Schwerpunktthema „Gewaltprävention im sozialen Nahraum“. Was ist denn damals der Anlass gerade für diese Themensetzung gewesen? Worum drehte sich die Debatte im Wesentlichen?

Damals war die Jugendkriminalität, auch im öffentlichen Raum, auf öffentlichen Plätzen, ein großes Thema. Dem wollte man in der Prävention begegnen und es wurden verschiedene Ansätze entwickelt, die auf dem 10. Deutschen Präventionstag vorgestellt wurden.

Der 10. Deutsche Präventionstag war selbst quasi ein Meilenstein. Bei diesem zehnten Jubiläum war zum ersten Mal die Teilnehmendenzahl auf über 3.000 Personen angestiegen. Wie schätzten Sie damals die Stellung und Weiterentwicklung des noch recht jungen Jahreskongress ein?

Aus meiner Sicht war das damals nicht absehbar. Es gab bis dahin schon eine gute Entwicklung für den Deutschen Präventionstag. Mir sind auch Vertreter des Präventionstages persönlich bekannt und ich schätze diese Personen sehr. Ich weiß, dass sie damals schon mit sehr viel Verve und Energie an der Weiterentwicklung des Deutschen Präventionstages gearbeitet haben, Visionen für die Zukunft entwickelt und verfolgt haben. Insofern hatte ich damals schon ein gutes Gefühl und die weitere Entwicklung hat diese Erwartungen durchaus gestützt und gestärkt.

Wenn wir auf das Jahr 2021 zurückkommen, was sind denn aus Ihrer Sicht aktuell wichtige Themen oder auch Herausforderungen für die Prävention?

Nachdem sich die Jugendkriminalität doch weitgehend normalisiert oder stabilisiert hat und sie bis auf wenige Phänomene heute kein so prominentes Thema mehr ist, ist in den letzten Jahren vor allem die Radikalisierung junger Menschen in den Vordergrund getreten. Hier hat es in den letzten Jahren verstärkt Entwicklungen gegeben, das Phänomen zu verstehen und zu erklären, sowie auch die Phänomene vorhersagen zu können. Aus diesen Erklärungsmodellen sind Präventionskonzepte entwickelt und umgesetzt worden. Nun geht es auch darum, diese Präventionskonzepte oder diese Präventionsangebote zu evaluieren, zu verbessern und für Qualitätssicherung zu sorgen, damit die hier eingesetzten Mittel effizient und effektiv eingesetzt werden.

In Ihrem Zwischenruf, den Sie im letzten Jahr mit Erich Marks aufgezeichnet haben, sagten Sie, Schule sei nicht mehr nur der Ort der Wissensvermittlung, sondern auch der Erziehung im Sinne einer Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung. Lange Zeit waren Schulen nun vor allem mit der Pandemiebekämpfung beschäftigt und konnten sich nicht mehr so darum kümmern, Kinder und Jugendliche zu stärken und soziale Kompetenzen zu vermitteln. Wie stellt sich Ihrer Meinung nach aktuell die Lage dar? Können Schulen wieder präventiv agieren oder steht noch immer eher die Pandemiebekämpfung oder  Schadensbegrenzung im Fokus?

Soweit ich das beobachten und einschätzen kann, habe ich den Eindruck, dass tatsächlich die Schulen im Moment mit der Schadensbegrenzung und der Aufarbeitung der Schäden, die durch die Pandemie entstanden sind, mehr als ausgelastet sind. Ich glaube, dass wir verstärkt die Schulen selbst stärken und unterstützen müssen, damit sie diese Aufgabe bewältigen können und damit sie dann auch wieder zu den eigentlichen Kernaufgaben kommen. Das sind einerseits die Wissensvermittlung und andererseits eben auch die Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung. In den vergangenen Jahren und  Jahrzehnten haben wir gesehen, dass die Schere auseinander geht, dass viele Kinder zu Hause in ihrer Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung nicht hinreichend gefördert werden. Diese Aufgabe muss mehr und mehr von den Schulen übernommen werden. Dafür muss die Schule Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, muss Zeit und Personal bekommen, um das zu bewältigen zu können. Mein Eindruck ist, dass gerade auch in diesem Bereich während der Coronapandemie die Lücke zwischen den vielen, vielen Kindern und Jugendlichen, die in der Familie und in ihrem familiären Umfeld gut versorgt sind, und denjenigen, bei denen Defizite in der Versorgung in diesen Bereichen vorliegen, dass diese Kluft, diese Schere immer weiter auseinander gegangen ist.

Welche strategische Ausrichtung würden Sie rückblickend und auch als Ausblick für die nächsten 25 Jahre Präventionsarbeit in Deutschland oder auch in Europa empfehlen?

Als Ausblick würde ich mir wünschen, dass wir in der Prävention doch stärker die Evaluation als Möglichkeit sehen, zu prüfen, wo wir uns verbessern können. Bislang wird Evaluation häufig noch als Nagelprobe, auch als Bedrohung erlebt. Aber das ist Evaluation nicht und das soll sie auch nicht sein. Wir brauchen vermehrt Überlegungen darüber, wie wir bestimmte Phänomene präventiv angehen können. Dazu braucht es ein Verständnis der Prozesse, es braucht eine Entwicklung von Maßnahmenketten. Das heißt, ich muss mir bei einzelnen Phänomenen überlegen, wenn ich dieses Phänomen angehen möchte, was will ich denn eigentlich erreichen, was sind meine Teilschritte und wie kann ich diese Teilschritte erreichen, durch welche Maßnahmen kann ich welche Veränderungen erzielen. Dann muss die nächste Frage sein: Gelingt das dann auch? Gelingt es denn wirklich mit meinen Maßnahmen, diese Teilschritte zu erreichen, um dann insgesamt tatsächlich auch das Phänomen anzugehen. In dem Bereich brauchen wir noch ein größeres Verständnis für die zugrunde liegenden Prozesse einerseits, aber auch eine größere Bereitschaft, das eigene Tun auf den Prüfstand zu stellen, um die Frage zu klären, wo kann ich noch besser werden.

Möchten Sie zum Deutschen Präventionstag noch ein abschließendes Resümee oder Fazit geben?

Die Arbeit des Deutschen Präventionstages hat mich nahezu seit Anbeginn meiner wissenschaftlichen Karriere begleitet. Ich habe die Arbeit des Deutschen Präventionstages beobachtet und gelegentlich an den Veranstaltungen teilgenommen. Ich habe immer mit großer Freude, auch mit ein bisschen Bewunderung beobachtet, wie es gelingt, tatsächlich die verschiedensten Akteure in diesem Bereich in gemeinsamen Veranstaltungen zu versammeln, sie gemeinsam ajour zu setzen über den Stand der Forschung, über den Stand der Wissenschaft, aber eben auch über den Stand der Entwicklungen in der Praxis, Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen zusammenzuführen und gemeinsam Strategien zu entwickeln und über das weitere Vorgehen zu beraten. Ich finde den Deutschen Präventionstag eine wunderbare und großartige Einrichtung und wünsche ihm, dass er weiterhin so viel Erfolg hat, wie in den vergangenen 25 Jahren.