Kriminalprävention – Programme und Projekte in der Praxis
1/3 Juli 1996
  • 195 Kongressteilnehmende und Besucher*innen
  • 35 Referierende
  • Eröffnungsvortrag „Zum Stand der Kriminalprävention in Europa“ von John Graham
  • Eröffnungsvortrag „Welt-Perspektive: Erfolgreiche Projekte im internationalen Austausch“ von Prof. Dr. Irvin Waller
  • 6 Arbeitskreise
  • Podiumsdiskussion
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Der zweite Jahreskongress fand in den Räumlichkeiten der Polizei-Führungsakademie (heute: Deutsche Hochschule der Polizei) in Hiltrup bei Münster statt. Die Veranstaltung dauerte vom 1. bis 3. Juli 1996. Das Kongressthema zielte auf den Praxisaustausch: „Kriminalprävention – Programme und Projekte in der Praxis“.

25 Jahre Deutscher Präventionstag
Ein Beitrag von Thomas Rüttler

Leitender Kriminaldirektor; Leiter der Kriminalpolizeidirektion Karlsruhe; 1995-2000 Geschäftsführer des Programms Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK)

 

Vom 1. bis 3. Juli 1996 fand der 2. Deutsche Präventionstag an der Polizei-Führungsakademie in Münster statt. Das Thema des 2. DPT war damals Kriminalprävention – Programme und Projekte in der Praxis. Ich habe damals als Referent im Arbeitskreis 6 „Zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Repression – Praxis und Perspektiven polizeilicher Präventionsarbeit“ teilgenommen und zum Thema „Moderne kriminalpräventive Öffentlichkeitsarbeit der Polizei und Kommunale Kriminalprävention – eine neue Dimension“ vorgetragen.

Als Geschäftsführer des Kriminalpolizeilichen Vorbeugungsprogramms des Bundes und der Länder (KPVP), seit 1998 umbenannt in Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK), waren wir beim 2. DPT erstmals auch Mitveranstalter/Kooperationspartner des DPT.

Wenn Sie an die Veranstaltung zurückdenken, was ist Ihnen als besonders kennzeichnend nachhaltig in Erinnerung geblieben?

1996 war der 2. DPT eine fast familiäre Veranstaltung. Ich glaube, insgesamt waren es nicht mal 200 Kongressteilnehmende, wovon sich die meisten aus der Präventionsarbeit in Bund und Ländern bereits kannten.

Gleichwohl wurde mir damals bewusst, dass es ein jährliches Meeting der Kriminalpräventionsschaffenden in Deutschland braucht. Weil damals viele Präventionspioniere zuhause in ihren Dienststellen und Behörden noch in der Präventionsdiaspora unterwegs waren, war ein DPT als Ideenbörse, als Markt der Möglichkeiten, als Best Practice Börse und als moralisch-fachliche Frischzellenkur einmal im Jahr eine notwendige Erfindung.

Gleichgesinnte konnten sich dort austauschen, gegenseitig in ihren Präventionsaktivitäten und -ideen unterstützen und bestärken. Das tat gut und half die 12 Monate bis zum nächsten DPT als Einzelkämpfer durchzustehen.

Wir blicken gemeinsam auf 25 Jahre Gewalt- und Kriminalprävention zurück. Wie hat sich dieses Fachgebiet in dieser Periode insgesamt verändert? Was wurde erreicht? Lassen sich rückblickend Konjunkturen bestimmter Debatten erkennen?

Seit 20 Jahren bin ich nicht mehr direkt in der Kriminalprävention tätig, sondern als Leiter einer Kriminalpolizei auf die Erfolge der kriminalpräventiven Tätigkeit unserer Präventionsprofis angewiesen. Deshalb habe ich mit Freude beobachtet, dass sich die Präventions- und Repressionsakteure über die Jahre insofern angenähert haben, als allen bewusst wurde, dass Repression und Prävention zwei Seiten einer Medaille sind.

Dieses Bewusstsein ist mittlerweile endlich auch bei den Streifen- und Ermittlungsteams angekommen. Heute sind sich diese bewusst, dass sie bei ihrer Tätigkeit sowohl repressiv wie auch präventiv wirken.

Der 2. DPT hatte das Schwerpunktthema Kriminalprävention – Programme und Projekte in der Praxis. Was ist damals nach Ihrer Einschätzung der Anlass für diese Themensetzung gewesen? Worum drehte sich die Debatte im Wesentlichen?

Es ging damals um die Etablierung des Handlungs- und Politikfeldes „Kriminalprävention“ im Wettbewerb mit anderen Handlungs- und Politikfeldern der Daseinsvorsorge. Insofern ging es erst einmal darum, sich als Präventionsakteur gegenüber den Etablierten in der Daseinsvorsorge zu legitimieren und die Frage zu beantworten, warum es neben Schule, Stadt, Polizei, Justiz u.a. der Disziplin Kriminalprävention überhaupt bedarf.

Das mittlerweile anerkannte Verständnis von Kriminalprävention als das aktive Zusammenwirken vieler gesellschaftlicher Kräfte und Disziplinen mit dem Ziel, Kriminalität als gesellschaftliches Phänomen oder als individuelles Ereignis zu verhindern, zu mindern oder in ihren Folgen gering zu halten, war noch nicht entwickelt.

Die Debatte erfolgte entlang der durch die Eröffnungsreden, die Vorträge und Diskussionen, die Podiumsdiskussion und die Gesprächsrunden gesetzten fachlichen Akzente. Diese wurde damals aber noch nicht thematisch gebündelt. Es gab auch noch keine themenzentrierte Schwerpunktsetzung, die in eine entsprechende Erklärung hätte münden können. Wie gesagt, es war der zweite Kongress dieser Art und Veranstalter und Programmbeirat waren noch auf der Suche nach dem richtigen Format und einer adäquaten Wirkung in Richtung Medien, Öffentlichkeit, Politik, Fachlichkeit und Wissenschaft.

Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell wichtigen Themen und Herausforderungen für die Prävention?

Die Argumente sind ausgetauscht. Jeder weiß, dass beim Erkennen prekärer Lebens- und Familienverhältnisse und beginnendem devianten Verhalten die Einflussmöglichkeiten noch gegeben und zu vergleichbar günstigen Kosten machbar sind.

Verstetigen sich allerdings prekäre Lebens- und Familienverhältnisse und deviantes Verhalten, kommen Hilfen oftmals nicht mehr an und verpuffen. Kriminelle Karrieren sind dann vorgezeichnet.

Was nach 25 Jahren immer noch nicht überall erreicht ist, ist eine enge Verzahnung der Handlungsfelder Familie, Erziehung, Schule, Ausbildung und Gesundheit mit der Kriminalprävention. Denn die Kriminalprävention ist kein isoliert zu betrachtendes Aufgabenfeld der Kommunen, Kreise, Verbände, Schulen oder der Polizei.

Kriminalpräventives Verwaltungshandeln ist auch keine neue Disziplin, keine neue Aufgabe, kein neues eigenständiges Ressort – es ist der Teil des Verwaltungshandelns, das kriminalpräventive Wirkungen erzielen soll.

Es bedarf daher Überlegungen zu einer nachhaltigen Implementierung der Kriminalprävention als interdisziplinäre und integrative Querschnittsfunktion im Behördenhandeln von Kreisen, Städten und Gemeinden, Polizei, Justiz, Schulen und Verbänden.

Welche strategische Ausrichtung würden Sie abschließend für die nächsten 25 Jahre Präventionsarbeit in Deutschland und Europa empfehlen?

Überwindung von Zuständigkeitsdenken und Ressortegoismen

Kriminalprävention gilt vielerorts leider immer noch als Steckenpferd oder Fleißaufgabe von einzelnen und ist nicht überall integraler Bestandteil des Verwaltungsverständnisses und -handelns.

Kunden von Verwaltungsdienstleistungen sollten aber in den behördlichen Anlaufstellen von

  • Schule
  • Verkehr
  • Jugend/Familie
  • Straßenbau
  • Frauen
  • Wohnungsbau
  • Senioren
  • Wirtschaftsförderung
  • Soziales
  • Gesundheit, Sport
  • u.a.

heute jeweils auf Ansprechpersonen treffen, die in ihrem Verwaltungshandeln parallel immer auch kriminalpräventive Aspekte mitdenken, aufgreifen, entsprechende Hilfen anbieten oder Projekte initiieren.

Ganz nebenbei: Eine solche ganzheitlich gedachte und verstandene Verwaltung wäre schlanker, überschaubarer und effizienter. Denn sie stellt die Kunden in den Mittelpunkt der Betrachtung und an die Stelle zuvor evtl. gegenläufiger Verwaltungsentscheidungen, die durch Zuständigkeitsdenken und Ressortegoismen verursacht wurden, treten integrierte und zielgerichtete Entscheidungen, die staatliche und kommunale Daseinsvorsorge für Bürger und Bürgerinnen und Wirtschaft aus einer Hand ermöglichen.

Eine optimierte Zusammenarbeit der Akteure in Schule, Familien- und Erziehungshilfe, öffentlicher und freier Jugendarbeit mit Polizei und Justiz würde darüber hinaus einen Perspektiv- ja sogar einen Paradigmenwechsel, weg von der Aufgabenorientierung hin zur Wirkungsorientierung eröffnen.

Eine solche Betrachtungsweise könnte bei Bündelung und Zielorientierung der bisher in Fach- und Sonderbehörden (zersplittert und oft nur als Nebenprodukt) erbrachten Dienstleistungen mit kriminalpräventiven Wirkungen verborgene Leistungspotenziale freisetzen. Diese, durch das klassische Verwaltungsverständnis nicht erschließbare Kosten- und Personalreserven, könnten die Grundlage für die Implementierung einer „Staatlich-Kommunalen Sicherheitspolitik“ bilden.

Um dies erreichen zu können sollte Kriminalprävention von allen staatlichen, kommunalen und freien Trägern als die Summe der Entscheidungen und Handlungen mit kriminalpräventiven Wirkungen und als interdisziplinäre und integrative Querschnittsaufgabe auf Ebene der Kreise, Städte und Gemeinden, bei Polizei und Justiz verstanden werden.

Verwaltungshandeln ist kein Selbstzweck. Schulbehörde, Jugendamt, Sozialamt, Gesundheitsamt, Straßenverkehrsbehörde, Straßenbauamt, Bauplanungsamt u.a. erfüllen Aufgaben, die dem einen Zweck dienen: „Schaffung und Erhaltung geordneter und verlässlicher Lebensgrundlagen“ oder anders gesagt, der Daseinsvorsorge. Unter diesen Begriff lässt sich auch das Ziel „Sicherheit“ subsumieren.

Nur, wenn Sicherheit i.S.v. Schaffung und Erhaltung einer sicheren und verlässlichen Lebensgrundlage in einer bestimmten Raumschaft als strategisches Ziel einer Behörde ausgegeben wird, können Vorgesetzte, Mitarbeitende und Partner ihre kriminalpräventiv und repressiv wirkenden Teilbeiträge konsequent auf dieses Ziel ausrichten und deren Wirkungen evaluieren.

Entscheidend ist eben nicht, dass die Verwaltung handelt, sondern dass dieses Handeln auch Wirkung erzielt. Bejaht man, dass Sicherheit zu den wichtigsten Grundbedürfnissen des Menschen gehört und tragendes Element seiner Lebensqualität ist, dann sollte das Produkt Sicherheit nicht länger ein Schattendasein im Rahmen staatlichen und kommunalen Verwaltungshandelns führen, sondern zum eigenständigen und priorisierten Planungsgegenstand und Dienstleistungsprodukt im Handeln der Kreise, der Städte und Gemeinden, der Polizei und der Justiz erhoben werden.

Ausrichtung des Behördenhandelns auf das Ziel „Sicherere Lebensgrundlagen“

Trotz wohlwollender Bewertung der beachtenswerten Maßnahmen und Projekte der Kommunalen und Polizeilichen Kriminalprävention, sind diese immer noch nicht überall fester Planungsgegenstand staatlichen und kommunalen Verwaltungshandelns und der Kommunalpolitik. Kriminalprävention unterliegt immer noch der Dispositionsfreiheit der jeweiligen Behörden- und Dienststellenleiter und ist nicht verpflichtender Bestandteil des behördlichen Alltagshandelns.

Präventionsräten, -vereinen, Projektgruppen, Quartiersbeiräten u.a. fehlt oftmals die demokratische Legitimation und das Budgetrecht. Ihre Beschlüsse haben lediglich empfehlenden Charakter. Soll Verwaltungshandeln nachhaltige kriminalpräventive Wirkung erzielen bedarf es des ganzheitlichen Ansatzes, einer „Staatlich-kommunalen Sicherheitspolitik“. Dies erfordert:

  • eine klare politische Zielsetzung,
  • die umfassende behördeninterne und behördenübergreifende Vernetzung der Prävention unter Einbindung aller Präventionsträger und -strukturen,
  • die Ausrichtung des Verwaltungshandelns beim Kreis, den Städten und Gemeinden, der Justiz und der Polizei auf das gemeinsame Ziel „Schaffung und Erhaltung einer sicheren und verlässlichen Lebensgrundlage“.

Revitalisierung des Bürgerwillens und des Gemeinsinns

Eine nachhaltig wirkende Strategie der Verhinderung von Kriminalität als Teil einer staatlich-kommunalen Sicherheitspolitik muss der Ursachenvielfalt Rechnung tragen.

Dies erfordert ein übergreifendes, integratives Gesamtkonzept. Verhinderung von Kriminalität und besonders die Kriminalprävention ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die nicht nur die Politik, die Polizei, staatliche, kommunale und nichtstaatliche Stellen, die Wirtschaft, die Medien, sondern gerade auch die Bevölkerung selbst Verantwortung tragen und ihre spezifischen Beiträge hierzu leisten müssen.

So verstandene Kriminalprävention umfasst die Gesamtheit aller staatlichen und privaten Bemühungen, Programme und Maßnahmen, die Kriminalität als gesamtgesellschaftliches Phänomen oder als individuelles Ereignis verhüten, mindern oder in ihren Folgen geringhalten sollen.

In der aktuellen Coronasituation hat sich erneut gezeigt, wie fragil unser gesellschaftlicher Konsens doch ist. Zukunftsängste, Verschwörungstheorien, Rückzug ins Private, Preisgabe öffentlicher Räume und Zuschauermentalität machten sich verstärkt breit. Soziales und ehrenamtliches Engagement gehen zurück, soziale Kontrolle finden nicht mehr statt, das Sicherheitsgefühl ist oft nachhaltig negativ beeinträchtigt.

Es besteht die Gefahr, dass die Angst vor Kriminalität, Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes, u.a. bei Bürgerinnen und Bürgern als größere Probleme angesehen werden als die tatsächlichen negativen Auswirkungen dieser Phänomene.

Der Mensch ist als soziales Wesen auf vielfältige soziale Kontakte angewiesen. Vitale Gemeinwesen zeichnen sich durch Verantwortungsbereitschaft, Verantwortungsübernahme und durch ein gesundes Maß an sozialer Kontrolle aus. Man kennt sich und hilft sich gegenseitig. Ein solches Gemeinwesen, eine solche Nachbarschaft schaffen günstige Voraussetzungen gegen Kriminalität und stellen damit einen Standortvorteil gegenüber anderen Raumschaften dar.

Auf kommunaler Ebene kann Kriminalprävention besonders wirksam mit zielgerichteter Projektarbeit betrieben werden, da Kriminalität überwiegend örtlich entsteht und erlebt wird. Die örtlich relevanten Verantwortungsträger, insbesondere staatliche und kommunale Stellen, Polizei, Justiz, Medien, Schulen, Kirchen, Vereine, Verbände und vor allem die Bürgerinnen und Bürger selbst, als Erziehungspersonen, Hausbesitzer, Grundstückseigentümer u.a. – müssen mit ihrer Fachlichkeit, ihren Erfahrungen, Wünschen, ihrer Kritik und ihrem Elan in kriminalpräventive Projekte einbezogen werden. Eine Institutionalisierung der Bürgerbeteiligung durch kriminalpräventive Räte, Projektgruppen, Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften, periodische Sicherheitskonferenzen u.a. ist anzustreben.

Ziel dieser Maßnahmen muss sein, Betroffene zu Beteiligten zu machen und nicht über, sondern miteinander zu reden.

In dem Maße, wie sich Behörden und Dienststellen, Polizei und Justiz für Bürgerinnen und Bürger und Institutionen öffnen, ihre spezifischen Kenntnisse, Erkenntnisse und Konzeptvorschläge einbringen und dem kreativen Wettbewerb von Ideen aussetzen, in diesem Maße kann Bürgersinn und Bürgeraktivität revitalisiert und in eine strategische Allianz gegen Kriminalität einbezogen werden.

Strukturierung – Einrichtung eines landkreisweiten Netzwerkes

Die Ursachen von Kriminalität liegen sowohl in der Persönlichkeit des Täters, den sozialen Lebensbedingungen als auch den vorhandenen Tatgelegenheitsstrukturen begründet. Der soziale Präventionsansatz zielt auf die Verhinderung von Straftaten durch verbesserte Erziehung, Wertevermittlung und Bildung, Verhinderung von Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung und Beseitigung sozialer Mängellagen bzw. die Vermeidung von erneuter Straffälligkeit. Der situative Präventionsansatz hat die Reduzierung von Tatgelegenheiten zum Ziel.

Alleinige Prävention oder alleinige Repression sind unter dem Blickwinkel staatlich-kommunaler Sicherheitspolitik stets unzureichend. Beides sind zwei Seiten einer Medaille bzw. Aufgaben, die zwar unterschiedlich ansetzen aber dem gleichen Ziel dienen.

Geboten ist eine ausgewogene Kombination von repressiven und präventiven Elementen. Dabei geht die Prävention der Repression naturgemäß zeitlich voraus (Vorbeugen ist besser als heilen) und sollte schon aus Kostengründen (1 € zu 7 €) und der Verpflichtung, Sach- und Personenschäden möglichst zu vermeiden, auch inhaltlich vorgehen.

Bei Kreisen, Städten und Gemeinden, der Polizei, der Staatsanwaltschaft, den Gerichten, Vereinen, Verbänden u.a. müssen parallele Strukturen und Verantwortlichkeiten für die staatlich-kommunale Sicherheitspolitik aufgebaut werden. Erst dadurch wird eine Synchronisation und Ausrichtung des Behörden- und Privathandelns auf das gemeinsame Ziel „Schaffung und Erhaltung einer sicheren und verlässlichen Lebensgrundlage“ erreicht.

Auch in allen anderen Behörden und Dienststellen, Vereinen, Verbänden und bei den Bürgerinnen und Bürgern muss ein Perspektivwechsel weg von der Aufgabenorientierung hin zur Wirkungsorientierung erreicht werden. Es muss das Prinzip vermittelt werden, jedes Gemeinwesen hat die innere Sicherheit und die sozialen Netzwerke, die sie sich verdient. Damit diese Synchronisation auch in eine problemorientierte Projektarbeit einmünden kann, sind verbindliche Zusammenarbeitsstrukturen zu entwickeln.

So können Präventionsräte und -vereine nur schwerlich selbst Träger der staatlich-kommunalen Sicherheitspolitik sein. Denn diese muss demokratisch legitimiert sein. Sehr wohl kann der Verein jedoch als Problemerkenner und -vermittler, als Finanzier oder Projektpartner fungieren. Entscheidungen mit Bindungswirkung müssen jedoch durch die demokratisch legitimierten Gremien oder staatlichen und kommunalen Behörden erfolgen.

In dem aufgezeigten Paradigmenwechsel stecken ungeahnte Potenziale. Nicht nur inhaltliche, sondern auch klimatische. Viele beschwören die gute alte Zeit und das damals wesentlich bessere soziale Klima. Doch nur sehr wenige tun heute etwas dafür. Durch eine klare politische Zielsetzung und die kommunikative Vermittlung des strategischen Zieles „Schaffung und Erhaltung einer sicheren und verlässlichen Lebensgrundlage“ kann eine Revitalisierung und Bündelung des Bürgerwillens erreicht, soziales Miteinander neu gestiftet und dadurch das Gemeinwesen sehr positiv stimuliert werden. In diesem Vorgehen stecken ungeheure Potenziale, Chancen und Möglichkeiten.

Systematisierung und Professionalisierung

Polizeiliche und Kommunale Kriminalprävention sind Arbeitsfelder mit noch vergleichsweise geringer Regelungsdichte. Dies wird häufig durch persönliches Engagement ausgeglichen, was sehr oft zu kreativen und innovativen Problemlösungen, Konzepten und Projekten führt.

Zur Schonung der polizeilichen und behördlichen Ressourcen, zur Professionalisierung, Effizienzsteigerung, Nachvollziehbarkeit und Nachhaltigkeit der Präventionsarbeit ist jedoch eine Systematisierung und Standardisierung erforderlich:

  • Systematisierung und Standardisierung von Verfahren (Prävention/Repression) als Leitlinie für die staatlich-kommunale Sicherheitspolitik mit dem Ziel „Sicherer Raumschaften“
  • standardisiertes aufeinander aufbauendes konzeptionelles Vorgehen: 
    - Lagebild
    - Auswertung, Analyse, Bewertung, Zielbildung
    - Projektantrag, Projektplanung (Vorstudie, Potentialanalyse, Kostenprognose, Evaluation)
    - Genehmigung des Projekts und des Finanzbedarfs
    - Konzepterarbeitung (Beteiligung von Betroffenen, Partnern und der Zielgruppe)
    - Konzeptgenehmigung durch alle Partner
    - Umsetzung
    - Evaluation
    - Fortsetzung, ggf. Änderung/Einstellung des Konzepts/Projekts
  • zur Verhinderung von Aktionismus und zur Gewinnung von Planungs- Budget- und Handlungssicherheit sollte eine Jahresplanung in Abhängigkeit von der Kriminalitätslage (Brennpunkte, Täterstruktur, Opferstruktur, örtliche Problemlagen), den Ressourcen und Schwerpunktsetzungen erfolgen
  • die staatlich-kommunale Sicherheitspolitik muss ihre Legitimation durch den Kreisrat/die Gemeinderäte, Recht und Gesetz erhalten
  • strategische Ebene sollte ein Lenkungsgremium (Präventionsrat) auf Ebene des Bundeslandes, des Kreises, der Städte und Gemeinden sein
  • die problemorientierte Projektarbeit sollte vor Ort unter Einbindung der Betroffenen und der örtlichen Verantwortungsträger erfolgen
  • eine zentrale Koordinations- und Clearingstelle führt die Geschäfte der Lenkungsgremien und der Projektgruppen, sorgt als Backoffice durch Strukturierung, Standardisierung und Evaluation für die Qualitätssicherung, plant, konzipiert und koordiniert übergreifende Projekte und deren dezentrale Umsetzung, sie ist Motor, Ideengeber und zentraler Dienstleister in Sachen „Schaffung und Erhalt einer sicheren und verlässlichen Lebensgrundlage“

Ohne Strukturierung, Systematisierung und Professionalisierung wird keine Verbindlichkeit und damit keine Nachhaltigkeit erreicht. Wenn jeder Mitarbeitende im Landratsamt, in den Städten und Gemeinden, bei Polizei und Justiz, in Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern u.a., aber auch jeder Handwerksmeister und Gewerbetreibende und jeder Bürger / jede Bürgerin erkennt, dass er / sie einen persönlichen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit in seiner / ihrer Raumschaft leisten kann, dann wird deutlich, welche Potenziale, welche Synergien freigesetzt werden können.

All die Genannten leisten bereits heute ihre persönlichen Beiträge mit kriminalpräventiven Wirkungen. Es bedarf daher keiner neuen Lehre, keiner neuen Ressorts und Sachbereiche. Strukturierung und Systematisierung des Bestehenden und dessen Ausrichtung auf das gemeinsame Ziel „Schaffung und Erhaltung einer sicheren und verlässlichen Lebensgrundlage“, ist der Schlüssel zum Erfolg.

Dienstleistungsorientierung

Staatliches und kommunales Behördenhandeln muss sich legitimieren und wird von Bürgerinnen und Bürgern schon lange nicht mehr als Selbstzweck akzeptiert. Spätestens seit den Milliardenkosten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie werden modernes Management, wirtschaftlicher Mitteleinsatz und Wirkungskontrolle erwartet.

Gerade durch einen Perspektivwechsel weg von der Aufgabenorientierung hin zur Wirkungsorientierung und der Ausrichtung des Verwaltungshandelns auf das Ziel „Schaffung und Erhaltung einer sicheren und verlässlichen Lebensgrundlage“ können die Präventionsakteure verdeckte Leistungspotenziale erschließen und sich als Partner für Sicherheit positionieren.

Wenn der Ansatz einer staatlich-kommunalen Sicherheitspolitik vom Kreis, den Städten und Gemeinden, von Polizei und Justiz konsequent umgesetzt und tragfähige Zusammenarbeitsstrukturen geschaffen werden, ermöglicht dies eine alle Verwaltungsbereiche umfassende Dienstleistungs- und Serviceorientierung für Bürgerinnen und Bürger.

Jedes Gemeinwesen hat das Sicherheitsniveau, das es sich verdient. Es sind deshalb die politisch Verantwortlichen und demokratisch legitimierten Gremien gefordert, durch die Formulierung und Umsetzung eines gemeinsamen politischen Willens, die Ausrichtung des Behördenhandelns und des Handelns Privater auf das gemeinsame Ziel „Schaffung und Erhaltung einer sicheren und verlässlichen Lebensgrundlage“ auszurichten.

Resümee

Gäbe es den Deutschen Präventionstag nicht, müsste man ihn schleunigst erfinden.
Idee, Konzept und Umsetzung bleiben das Verdienst von Erich Marks, der heute noch die Geschicke des DPT lenkt, verantwortet und weiterentwickelt.

Wo sonst sollte das oben Gesagte und weitere vielversprechende Präventionsideen und -konzepte vorgestellt, breit erörtert, auf seine Machbarkeit hin überprüft und in einer Schlusserklärung als Hinweis, Anregung oder Forderung an die Politik zusammengefasst einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden?

Der Deutsche Präventionstag hat sich in 26. Jahren zu einem Brennglas der Kriminalprävention in Deutschland gemausert. Ohne das jährliche (analoge/digitale) Zusammentreffen von vielen Präventionsakteuren wäre es um die Präventionslandschaft in Deutschland noch ärmer bestellt.

Weiter so DPT!
Wenn man deine Anfänge kennt und sieht, was aus dir geworden ist, geht immer noch mehr!