Prävention rechnet sich. Zur Ökonomie der Kriminalprävention
8/9 Juni 2015
  • 3.115 Kongressteilnehmende und Besucher*innen davon 118 aus 44 Staaten
  • 291 Referierende
  • Abschlussvortrag „Erschöpfte Kinder – erschöpfte Gesellschaft“ von Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort
  • 9. Annual International Forum (AIF)
  • 182 Vortragsbeiträge (Einzelvorträge, Themenboxen, Projektspots)
  • 188 Ausstellungsbeiträge (Infostände, Infomobile, Sonderausstellungen, Poster)
  • Bühnenveranstaltungen
  • Filmforum
  • 13 Begleitveranstaltungen
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Am 8. & 9. Juni 2015 tagte der DPT im Congress Center Messe Frankfurt unter der Schirmherrschaft des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Im Schwerpunkt ging es um das Thema „Prävention rechnet sich. Zur Ökonomie der Kriminalprävention“. Die Kongressteilnehmenden waren zum Abendempfang in das Gesellschaftshaus Palmengarten geladen.

25 Jahre Deutscher Präventionstag
Ein Beitrag von Prof. Dr. Stephan Thomsen

Volkswirtschaftler und Präventionsforscher; Professor für Angewandte Wirtschaftspolitik an der Universität Hannover

Am 08. Juni 2015 fand der 20. Deutsche Präventionstag in Frankfurt/Main statt. Sie haben damals als Gutachter teilgenommen. Wenn Sie an die Veranstaltung zurückdenken, was ist Ihnen als besonders kennzeichnend nachhaltig in Erinnerung geblieben?

 

Der ökonomische Denkansatz ist aber nur mittelbar an einer monetären Bewertung interessiert: Sie dient dem Zweck, Abwägungsentscheidungen zwischen unterschiedlichen Prioritäten bei knappen Ressourcen zu ermöglichen. Dabei können kurz- und langfristige Folgen von Gewalt und Kriminalität sowie der notwendige Aufwand für eine Verringerung oder Verhinderung in die Betrachtung einbezogen und mit anderen öffentlichen Aufgaben verglichen werden. Er leistet somit einen Ansatz zur Objektivierung und kann zum Verständnis und zur Begründung von Prävention in besonderer Weise beitragen.

Mein persönlicher Eindruck auf dem Präventionstag war daher auch uneingeschränkt positiv. Neben der Offenheit zu dem Thema im Plenum kam ein konstruktiver Austausch mit den Leitern der LKAs und des BKA, der mir persönlich in guter Erinnerung geblieben ist.

Wir blicken gemeinsam auf 25 Jahre Gewalt- und Kriminalprävention zurück. Wie hat sich dieses Fachgebiet in dieser Periode insgesamt verändert? Was wurde erreicht? Lassen sich rückblickend Konjunkturen bestimmter Debatten erkennen?

Aus meiner persönlichen und damit sicher subjektiven Sicht hat der Deutsche Präventionstag insbesondere durch seine Stetigkeit und die wechselnden Leitthemen der einzelnen Jahre einen sehr wichtigen Beitrag für die Entwicklung des Fachgebiets geleistet. Als Ort des Austauschs zwischen den beteiligten und interessierten Akteuren hat er für die Bedeutung der Kriminalitätsverhütung und Kriminalprävention sensibilisiert, informiert und wichtige Impulse gesetzt.

Standen zu Beginn der Arbeit in den 1990er Jahren zunächst Schritte zur grundsätzlichen Wahrnehmung des Themas im Mittelpunkt, rückten um die Jahrtausendwende inhaltliche Fragen der gesamtgesellschaftlichen Kriminalprävention in den Vordergrund. Mit wechselnden Schwerpunkten wurden dabei unter anderem die Aspekte der kommunalen Kriminalprävention (z. B. 1995, 1996, 1998, 2004), der Prävention von Gewalt im Sport (z. B. 2000, 2006), für Personen mit Migrationshintergrund (z. B. 2003, 2009, 2017) und immer wieder auch der Schutz von Kindern und Jugendlichen (z. B. 2005, 2007, 2010) über die Jahre hinweg erörtert und diskutiert. Die beiden letzten Präventionstage haben durch die Bedeutung der Demokratieförderung und der Smart Prevention zentrale Themen aufgegriffen, die uns noch länger und intensiver beschäftigen werden. Diese Auswahl zeigt, dass Themen immer wieder einmal stärker in den Mittelpunkt rückten, um Entwicklungen zu begleiten oder Impulse zu setzen. Grundsätzlich sehe ich aber neben den Leitthemen die Vielfalt, die im offenen Programm vorgestellt wird, als mindestens gleichbedeutend an. Zeigt sich doch in besonderer Weise die Breite und Verbreitung von Themen und Fragen bei nationalen und zunehmend internationalen Akteuren.

Neben diesen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen wurde zudem früh mit der Diskussion, Schaffung und systematischen Bereitstellung von Informationen zur Prävention begonnen. Beginnend mit den Ansätzen zur Dokumentation der Ergebnisse und Erfahrungen (1997) wurden bereits im Düsseldorfer Gutachten im Jahr 2001 Grundgedanken der Wirkungsforschung in der Kriminalprävention formuliert. Zeitgleich wurden weitere Informationsquellen vorgestellt.

Der 20. DPT hatte das Schwerpunktthema „Prävention rechnet sich. Zur Ökonomie der Kriminalprävention“. Was ist damals nach Ihrer Einschätzung der Anlass für diese Themensetzung gewesen? Worum drehte sich die Debatte im Wesentlichen?

Aus meiner Sicht war die Themenstellung durch drei Dinge motiviert: Erstens ist es kennzeichnend für den Präventionstag, den Blick auf die Gewalt- und Kriminalpräventionen durch die Wahl der Leitthemen zu weiten und immer wieder neue Perspektiven einzunehmen, um ein besseres Verständnis des Nutzens, aber auch über die Limitationen zu erhalten. Da die ökonomische Betrachtung – sicher auch aufgrund der institutionellen Verankerung des Themas – vorher eher ein Randthema war, lag es nahe, diesem Bereich einmal eine breitere Aufmerksamkeit zu widmen.

Und hier schließt sich der zweite Grund an: In den angelsächsischen Ländern haben Wirkungsforschung und Effizienzanalysen eine lange Tradition, wenn über die bestmögliche Verwendung öffentlicher Mittel entschieden wird. Nutzbarkeit und Wirksamkeit müssen hierbei nach strengen wissenschaftlichen Kriterien festgestellt werden. So ermöglichen sie jedoch einen wohlfahrtssteigernden Einsatz und die Vermeidung von Schäden an der Bevölkerung. Denn nicht alles, was gut gemeint ist, ist dann am Ende auch gut gemacht. Zugleich erlaubt diese Vorgehensweise die Objektivierung kritischer Entscheidungen. Wirkungsforschung und Kosten-Nutzen- bzw. Kosten-Wirksamkeitsanalysen haben in Deutschland in anderen Politikbereichen (insb. Arbeitslosenunterstützung, Familienpolitik) bereits seit längerem Einzug gefunden. Für die Vorteile dieses Ansatzes im Zusammenspiel mit allen übrigen Disziplinen zu werben, war das Ziel der Debatte.

Der dritte Grund ist am Ende sicher der nahest liegende: Kriminalität führt zu ganz erheblichen volkswirtschaftlichen Schäden. Beispiele hierfür sind z. B. die Verluste von Kriminalitätsopfern, die öffentlichen und privaten Ausgaben der Prävention oder die öffentlichen Ausgaben für Polizei, Justiz, Strafvollzug und Bewährungshilfe. Die optimale Vorbeugung und Bekämpfung der Kriminalität ist daher ein traditionelles volkswirtschaftliches Allokationsproblem: Knappe öffentliche Ressourcen müssen einer möglichst effizienten Verwendung zugeführt werden.

Ist dieses Thema auch heute noch aktuell? Findet sich ein roter Faden, der sich auch heute noch aufnehmen lässt?

Das Thema war, ist und bleibt aktuell. Alle drei eben genannten Gründe haben weiterhin Gültigkeit und erfordern vor dem Hintergrund der stetigen Veränderung der Gesellschaft, aber auch durch immer neue Formen der Kriminalität (z.B. über das Internet oder im Bereich persönlicher Daten) eine permanente Auseinandersetzung und Weiterentwicklung der Methoden.

Die ersten grundlegenden Arbeiten dazu hat der Ökonom und spätere Nobelpreisträger Gary Becker in den 1960er Jahren vorgenommen, in dem er eine Übertragung der ökonomischen Prinzipien von rationalen Wahlentscheidungen auf den Bereich der Kriminalität formulierte. Dies war die theoretische Basis, um die bis heute vordringliche Frage zu beantworten, wie der Staat durch geeignete Festlegung der Präventions- und Abschreckungsinstrumente den sozialen Schaden aus Kriminalität minimieren kann. Dieser soziale Schaden betrifft dabei durch unmittelbare und mittelbare Kanäle die Gesellschaft insgesamt. Da Prävention und Abschreckungsinstrumente aber selbst auch Kosten verursachen – neben direkten Kosten insbesondere auch Opportunitätskosten – setzt er Aufwand und Ertrag in Beziehung. Dies erlaubt ein Verständnis, welcher soziale Schaden zu akzeptieren bzw. wie viel Kriminalität gesellschaftlich zu tolerieren ist.

Diese grundlegenden Arbeiten haben dann eine eigene Teildisziplin in der Ökonomik begründet, die sich der Beantwortung von vielfältigen und immer zeitgemäßen Fragen widmet. Beispiele sind u.a., ob der Schaden durch Mord und Totschlag größer ist als der Schaden, der durch Diebstähle entsteht? Welchen Aufwand sollte der Staat betreiben, um Kriminalität einzudämmen? Haben Investitionen in frühkindliche Bildung einen größeren präventiven Effekt auf die Kriminalitätsvermeidung als Investitionen und Aufwendungen für den Justizvollzug? Sollten dann weniger Haft- und mehr Geldstrafen bei Vergehen eingesetzt werden? Welchen Beitrag leisten soziale Medien zur Radikalisierung und Gewaltbereitschaft bei bestimmten soziodemographischen oder sozioökonomischen Gruppen und was würde eine Kontrolle kosten? Sind traditionelle Präventionsmaßnahmen hierbei wirksam bzw. neue möglich?

Eine objektive bzw. objektivierbare Antwort auf diese Fragen erfordert die Gegenüberstellung der Kosten bzw. Kosten-Nutzen-Relationen der zu beurteilenden Taten bzw. der alternativen Verwendungen in einer einheitlichen Einheit. Die wirtschaftswissenschaftlichen Verfahren der Kosten-Nutzen-Analysen und Kosten-Wirksamkeits-Analysen sind hierbei Mittel der Wahl. Wenn sie sorgfältig erarbeitet sind, kann ihre Verwendung im gesellschaftlichen Dialog zu einer Versachlichung und Evidenzbasierung in der Ausgestaltung der Politik beitragen.

Herausforderungen, denen sich die Wissenschaft stellt, liegen dabei insbesondere in der Messbarkeit und Operationalisierung der Kosten und Nutzen. Der gesellschaftliche Wandel erfordert entsprechende regelmäßige Anpassungen der Größen und Methoden. Gerade die Themen der letzten beiden Präventionstage – d.h. Fragen der Demokratie und der digitalen Welt – verdeutlichen, dass hier weiterhin hoher Forschungs- und Erkenntnisbedarf besteht.

Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell wichtigen Themen und Herausforderungen für die Prävention?

Aus meiner Sicht nimmt neben den traditionellen Bereichen die Bedeutung der digitalen Welt und der damit verbundenen Themen zu. Dies sind z.B. Fragen der Radikalisierung, des Datenschutzes und des Datenmissbrauchs, die zu Straftaten führen.

Außerdem verschieben auch die Sars-Cov2-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen die Schwerpunkte der Kriminalität und machen ein entsprechendes Bewusstsein erforderlich. Wirtschaftlich sehen wir bereits heute eine zunehmende Ungleichheit mit allen damit verbundenen mittel- und langfristigen Effekten. Hinzu kommen Risiken häuslicher Gewalt, aber auch eine Zunahme von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Außerdem sehe ich Fragen der Radikalisierung über das Internet durch Vereinsamung, Isolation und Filterblasen als konkrete Themen, denen sich Prävention stärker widmen muss.

Neben den bekannten Formen von Gewalt und Kriminalität, die durch Ungleichheit und wirtschaftliche Unsicherheit entstehen, führt die Digitalisierung aber auch zu neuen Formen, deren Schäden und Entwicklung noch gar nicht genau beziffert bzw. verstanden wird. Dies impliziert dann auch eine Unsicherheit über geeignete Maßnahmen zur Vermeidung.

Letztlich werden perspektiv außerdem Fragen der Akzeptanz notwendiger Maßnahmen und ihre Finanzierbarkeit weiter an Bedeutung gewinnen. Die hohen wirtschaftlichen und fiskalischen Belastungen der Pandemie werden die öffentlichen Mittel und Haushalte längerfristig verknappen.

Welche strategische Ausrichtung würden Sie abschließend für die nächsten 25 Jahre Präventionsarbeit in Deutschland und Europa empfehlen?

Gerade die Vergleichbarkeit der Gefahren in vielen europäischen Ländern, z. B. durch Veränderungen in der Demokratie, der Wandlung kultureller Identitäten oder der grenzüberschreitenden Kommunikation im Internet, eröffnen eine vielversprechende Perspektive, den begonnenen Weg noch stärker auf europäischer Ebene fortzusetzen. Hierbei sollte sich noch intensiver über Ansätze, Erfahrungen und Instrumente ausgetauscht werden.

Wichtig ist außerdem, Daten und Informationen für die Prävention und über die Kriminalität international zu verknüpfen und vor allem schneller verfügbar zu machen. Die jüngsten Beispiele von Radikalisierungen und daraus ausgelösten Angriffen und Terrorakten zeigen, dass hier Staatsgrenzen nur auf Seite der Behörden existieren. Hier bleibt aber auch auf nationaler Ebene noch einiges zu tun: Vereinheitlichungen der Informationsübermittlung und Informationsbereitstellung sollten trotz des föderalen Systems möglich sein und an ihnen muss konsequent gearbeitet werden.

Das sind für mich zentrale, da grundlegende Aspekte der strategischen Präventionsarbeit in Deutschland und Europa für die kommenden Jahre.